Die erste Runde des #jnpowerhouse 2022 stand ganz unter dem Motto unseres großen Themas #beyondthecanon. Gemeinsam mit Cymin Samawatie und Ketan Bhatti vom Trickster Orchestra gehen wir der Frage nach, ob und wie die konservative Musikpraxis aufgebrochen werden kann, um sich den aktuellen Lebensrealitäten einer postmigrantischen Gesellschaft anzunähern. Viele interessante Anregungen später geben uns Cymin und Ketan erste Einblicke in ihre musikalischen Arbeitsweisen, die das gemeinsame Sommerprojekt mit Mahlers 10. Sinfonie maßgeblich beeinflussen werden.
Was ist dieser Kanon und wer legt ihn fest? Da uns diese Frage beschäftigt, haben wir sie auch Ketan und Cymin gestellt. Beide eint sowohl ein klassischer, als auch ein transkultureller bzw. außereuropäischer musikalischer Hintergrund. Beide haben verschiedene, eher unbefriedigende Erfahrungen mit interkulturellen musikalischen Begegnungen und der Stigmatisierung durch den kolonial geprägten Begriff der “Weltmusik” gemacht – das Andere, Unbekannte oder Exotische aus der erhabenen Perspektive der mitteleuropäischen Kunstmusik. Oft würde sich dabei in der musikalischen Zusammenarbeit von Musiker:innen verschiedener kultureller Hintergründe zu schnell auf den kleinsten gemeinsamen Nenner geeinigt.
Vor diesen Erfahrungen gründeten sie das Trickster Orchestra, einer Formation aus Musiker:innen ohne Limitierung auf ein bestimmtes kulturell konnotiertes Instrumentarium, jedes mit seinen eigenen Regeln, seiner eigenen Musiktradition. Dort spielen die japanische Koto neben einer Geige, Sheng neben der Klarinette. In diesem Ensemble interagieren verschiedene Musiktraditionen hierarchiefrei nebeneinander. Es entsteht transtraditionelle Musik.
Wir haben heute die konservativste Art zu musizieren, meint Ketan. In jeder anderen Epoche ging es darum, das Neue zu (er)finden und aufzuführen. Zwar gäbe es heute die Neue Musik, dies sei jedoch eher eine Nische. Gefördert und gespielt würden – wenn man es herunter bricht – die Kompositionen von ca. 40 weißen Männern mit Lebensdaten zwischen 1750-1920.
Aus einer ersten Begegnung mit dem Trickster Orchestra im Rahmen des #jnpsemester 2020 entstand der Wunsch nach einem gemeinsamen Projekt. Was eignet sich dafür besser als Mahlers 10. Sinfonie, die – da unvollendet – Raum lässt für eine zeitgenössische Interpretation, eine Vertricksterung. #radikalevielfältigkeit
Wie man sich das vorstellen könne, wollte die Zoomrunde aus jnp-Teammitgliedern und Mitspielenden wissen. Für Cymin gibt es in ihrer Arbeit mit dem Trickster Orchestra zwei wichtige Werkzeuge: die Re-Komposition und die Improvisation. So können Fragmente des ursprünglichen – beispielsweise Mahlers Adagio – bestehen bleiben und durchscheinen, werden jedoch neu besetzt oder durch neue Themen oder Linien erweitert. Dabei sei wichtig, dass das Aufgeführte ein gemeinsames Werk von allen wird. Improvisation sei dafür ein gutes Mittel, es gibt sie in fast allen Musiktraditionen.
Noch Frage aus dem Publikum: Wie lasse sich die Scheu vor dem Improvisieren die viele klassische Musiker:innen haben, ablegen? Cymin bringt als Dirigentin, die sich im Prozess des Musizierens immer mehr rausnehmen möchte, verschiedene Ansätze und Erfahrungen mit, die sie im Sommer mit uns teilen wird.
Gemeinsam werden Musiker:innen der jnp und des Trickster Orchestra so eine eigene Fassung von Mahlers 10. Sinfonie auf Schloss Gadebusch erarbeiten und sie zusammen auf dem detect classic festival in Bröllin aufführen.
Beitrag von Tina Jany und Marlene Schleicher