„Mit einem Bein im Knast? Wege in die musikalische Freiberuflichkeit“ – Das war der Titel unseres zweiten #jnpowerhouse Gesprächsforums. Zugegebenermaßen ein wenig reißerisch. „Mit einem Bein im Knast steht für mich für die feste Anstellung in einem Orchester“, sagt Sophie Wedell, eine unserer zwei Referent:innen für den Abend. „Wenn man 40 Jahre auf der gleichen Stelle sitzt und nicht mehr die Freiheit hat, all die Dinge am Musiker:innendasein auszuleben, die man liebt.“
Sophie ist seit dem Abschluss ihres künstlerischen Studiums als freischaffende Violinistin unterwegs. Sie lebt in Holland, wo sie sowohl in der Alten als auch Neuen Musikszene aktiv ist. Zudem spielt sie im Orchester des 18. Jahrhunderts und steht mit ihrem Ensemble Arava auf Bühne. Über ihren Weg als freiberufliche Musikerin hat sie sich ausführlich Gedanken gemacht und empfiehlt, einen 10-Jahresplan zu erstellen. So entsteht eine Struktur für den eigenen Beruf und Musiker:innen behalten den Überblick über die eigenen Ziele. Darüber hinaus sei ein stabiles und sicheres Netzwerk das Wichtigste für Freiberufler:innen. Kontakte pflegen, auf Konzerte gehen, von den eigenen Kompetenzen berichten und zuverlässig auf Anfragen antworten – dies sind nur einige der Überlebenstipps, die sie für angehende freischaffende Musiker:innen hat.
„Mit einem Bein im Knast zu stehen” ist laut Johannes Severin eine lauernde Gefahr, wenn nach dem Studium einfach in die Freiberuflichkeit reingestolpert wird, ohne sich Gedanken über beispielsweise Krankenversicherung oder Steuererklärungen zu machen. „Viele Studierende wissen nicht, dass man sich schon in den letzten Jahren des Studiums bei der Künstlerischen Sozialkasse (KSK) anmelden kann“, sagt Johannes, der Instrumentalpädagogik an der Universität der Künste Berlin studierte und mittlerweile Musik- und Instrumentallehrer für Streicherklassen und Schulorchester sowie an der Musikschule ist. In einer Welt vor Corona ist er außerdem Mitglied in einem Tanzorchester und macht Musik an Schauspielhäusern in Berlin, meist am Renaissance Theater. Im #jnpowerhouse klärt er uns darüber auf, was vor dem Schritt in die Freiberuflichkeit wichtig zu wissen sei, aber Studierenden an Hochschulen selten beigebracht wird. „Das ist, als ob du jahrelang Bilder gemalt hast und auf einmal sagt jemand zu dir ‚gründ’ mal ‘ne Firma‘ “.
Besonders wichtig sei die Mitgliedschaft in der KSK. Ähnlich wie ein Arbeitgeber im klassischen Angestelltenverhältnis übernimmt die KSK für freischaffende Künstler:innen die Kranken- und Sozialversicherung. Einzige Voraussetzung für eine Mitgliedschaft ist ein Jahreseinkommen von über 3900€, „…und das schafft wohl jeder mit ein paar Muggen“. Des Weiteren sei es wichtig, sich sofort eine Steuernummer zu besorgen und sich über die Befreiung von der Umsatzsteuer zu informieren, führt Johannes weiter aus. Im Zweifelsfall einfach einen Beratungstermin bei einem Steuerberater vereinbaren – einmalige Beratungen sind oft sogar kostenlos. Außerdem rät Johannes den Teilnehmenden, sich in Gewerkschaften und Verbänden zu engagieren: „Wir brauchen eine stärkere Lobby für freischaffende Musiker:innen in Deutschland. Es ist krass, wie sehr man allein gelassen wird.“
Für uns als Zuhörer:innen ist vor allem inspirierend, auf welche zielgerichtete und dennoch unterschiedliche Art und Weise Johannes und Sophie ihre Freiberuflichkeit leben. Sie verkörpern das Gefühl, dass in diesem Beruf alles möglich sei, solange Musiker:innen proaktiv das eigene Netzwerk gestalten und hart arbeiten. Nach einer Anfangszeit, wo erstmal jeder Job angenommen werden müsse um neue Kontakte zu knüpfen, kann so innerhalb von ein paar Jahren ein Status erreicht werden, wo Musiker:innen selbstsicher eine angemessene Gage verlangen und sonst Jobs auch mal absagen können.
Selbst in dieser schwierigen Zeit erleben beide ihren Beruf als freiberufliche Musiker als sicher. „Letztes Frühjahr war da natürlich erstmal eine Schockstarre, aber dann habe ich mich sofort umgeschaut und zugesehen, dass ich meine Stunden an der Gesamtschule aufstocke und das hat gut funktioniert“, berichtet Johannes. Außerdem hätten Musiker:innen nun die Zeit, sich lange liegengebliebenen Projekte und Ideen zu widmen. Sophie erzählt, dass sie in der Coronazeit endlich Konzepte und Pläne verwirklichen konnte, für die sonst nie die Ruhe da war. Beide machen sich keine Sorgen um die berufliche Zukunft: „Es gibt immer was zu tun“, sagt Johannes, solange man kreativ und interessiert bleibe.
Beitrag von Lea Hänsel