Freiberg liegt in Sachsen, irgendwo zwischen Dresden und Chemnitz. Dort gibt es ein Stadttheater mit sehr sympathischem Publikum, aber seit einigen Jahren auch eine sehr starke AfD. Das geht nicht spurlos am Leben in der Stadt vorbei, Meinungen und Weltbilder prallen aufeinander: „Nachbar:innen haben teilweise nicht mehr miteinander gesprochen“, erzählt Katharina Overbeck als Rednerin im #jnpowerhouse. Sie ist jnp-Alumna und seit 2017 erste Konzertmeisterin in Freiberg. In der ersten Ausgabe des neugeschaffenen Gesprächsforums des jnp-Alumni-Netzwerks, welches politisches Engagement von Musiker:innen beleuchtet, berichtet uns Katharina von ihrem Einsatz für eine offenere Gesellschaft.
Den Impuls gab die politisch gespaltene Situation vor Ort nach der Kommunalwahl 2019: „Man muss dem Aufstieg der AfD etwas entgegensetzen.“ Gemeinsam mit anderen Engagierten gründet sie das Netzwerk Freiberg für alle und möchte ein Zeichen gegen rechts setzen. „Uns gibt es hier auch. Und wir sind viele.“, fasst Katharina ihre klare Botschaft zusammen. Eine Aktion, die das Netzwerk vom Verein Frühlingserwachen übernommen hat, ist der sogenannte “Begegnungsmarkt”. Auf dem Marktplatz in Freiberg werden Passant:innen bei Kaffee und Kuchen zum unverbindlichen Dialog eingeladen. und dabei steht das Prinzip „Man muss erst verstehen, dann kann man auch verstanden werden“ im Mittelpunkt der Gespräche. Auf anfängliches Zögern folgt dann oft großes Interesse bei den Marktbesucher:innen und vor allem aber die Erkenntnis, wie gut es tut, „einfach mal seinen Blick zu weiten und seine eigene Blase zu verlassen.“, betont Katharina.
Im gut besuchten virtuellen Konferenzraum der jnp gibt sie nicht nur Einblicke in vergangene Veranstaltungen, sondern macht vor allem deutlich, wie gut ihr Engagement und ihre Tätigkeit als Musikerin vereinbar sind. „Ich habe die Zeit und Energie dazu. Außerdem wollte ich mich schon immer engagieren. Irgendwann habe ich dann einfach angefangen und dann war es ganz einfach.“ Noch dazu hilft ihr der Bekanntheitsgrad, den sie als Konzertmeisterin am Theater der 40.000 Einwohner-Stadt genießt: „Darüber hatte ich überhaupt nicht nachgedacht, als ich die Stelle angetreten habe, aber es ist ein deutlicher Vorteil an einem kleineren Haus”. Viele ihrer Kolleg:innen unterstützen die Aktionen ebenfalls. Durch die Arbeit am Stadttheater gibt es Equipment und Strukturen, die die Organisation von Veranstaltungen erleichtern.
Wie wichtig eine breite Ausstattung an verschiedenen Ressourcen ist, um Hilfe leisten zu können, hat unsere zweite Rednerin Lydia Stettinius auch bei ihrem Einsatz im bosnischen Camp „Vucjak” für Geflüchtete erfahren. Sie berichtet von überfüllten Lagern und der humanitären Notsituation, der die Menschen dort ausgesetzt waren. Lydia hat während ihres ehrenamtlichen Einsatzes im Ambulanz-Zelt gearbeitet. „Ich habe keine medizinische Ausbildung“, sagt Lydia, die eigentlich Geige studiert und auch im jnp-Team schon organisatorische Aufgaben übernommen hat. „Ich habe vor Ort einfach ein bisschen zugeguckt und dann mit angepackt. Es wurde von früh bis spät gearbeitet.“
Zurück in ihrer Studienstadt Wuppertal hallen Szenen aus Bosnien noch lange in ihr nach. Lydia ist klar, dass das Engagement weitergehen muss und gründet mit anderen Freiwilligen die Balkanbrücke. „Das Bewusstsein in der deutschen Bevölkerung ist nicht groß. Alle wissen von der Flucht über das Mittelmeer, aber nur wenige von der Balkanroute.“ Sie möchte mit ihrer Organisation informieren, vernetzen und hat innerhalb kürzester Zeit viel erreicht. Aber politisches und soziales Engagement kosten Zeit, die manchmal beim Üben fehlt. „Ich finde es sehr schade, dass der Tag nur 24 Stunden hat.“, gibt Lydia grinsend zu. Vielleicht würde es aber auch schon helfen, wenn mehr Verknüpfungen zwischen politischem Engagement und der künstlerischen Arbeit bestünden. Bis jetzt findet diese Verbindung hauptsächlich in Benefizkonzerten statt, stellen Lydia und einige andere Teilnehmer:innen des Workshops fest. Alle sind sich einig: Die Verbindung zwischen politischem Engagement und künstlerischer Arbeit könnte stärker sein. Die Frage, was politische Kunst überhaupt alles sein kann, ist noch ungeklärt.
Mit ihrem politischen Engagement fühlt sich Lydia an ihrer Hochschule oft alleine. Auch Katharina und andere jnp-Alumni teilen die Wahrnehmung, Musikstudierende würden sich weniger engagieren als Studierende anderer Fachrichtungen. Über die Gründe dafür wird mit allen gemeinsam diskutiert: „Das Musikstudium füllt einen schon völlig aus.“ geben manche ziemlich schnell zu. Es werden aber auch die Strukturen der Ausbildung und des „Klassikbetriebs” kritisiert: „Kunst sollte sich politischen Sachverhalten widmen. Im Klassikbereich und im Studium kommt das alles viel zu kurz.“ Es fehle an Vorbildern in der Lehre, die einen dazu ermutigen, über den eigenen Tellerrand zu schauen und mit den eigenen Meinungen laut zu werden. Im #jnpowerhouse mangelt es auf jeden Fall nicht an Vorbildern und mit Katharina und Lydia ist ein Anfang gemacht.
Falls ihr Lust habt, mehr über die Initiativen zu erfahren, in denen sich unsere Rednerinnen engagieren oder ein bisschen Inspiration bei Projekten finden möchtet, die Musik und Engagement verknüpfen, haben wir euch hier unten ein Liste mit einigen Links zusammengestellt:
Freiberg für alle: www.site.freibergfueralle.de
Frühlingserwachen: www.fruehlingserwachen.org
Bündnis für Demokratie und Toleranz: www.buendnis-toleranz.de
Balkanbrücke:http://balkanbruecke.org
Music for Moria: https://www.music4moria.com/
Lebenslaute – Klassische Musik – politische Aktion: https://www.lebenslaute.net/
Beitrag von Marlene Schleicher