Die dritte Ausgabe des #jnpowerhouse wirft schon zu Beginn der Session viele Fragen auf. Wie nennen wir das, was wir in den kommenden Stunden diskutieren wollen?
Educationarbeit? Klingt nach einem deutsch-englischen Kompromiss.
Musikpädagogik? Zu groß, zu ungenau.
Musikvermittlung? Irgendwie unsexy und ist es für Musik, die vermittelt werden muss nicht schon zu spät?
Egal, wie man es nennt: alle Teilnehmer:innen des #powerhouse können sich irgendetwas unter diesen Begriffen vorstellen, haben Erfahrungen damit gemacht und auch einige Vorurteile im Gepäck. Virtuelle Post-Its mit Begriffen, wie „Kinder“, „Teilhabe“, „Elite“, „weibliche Moderatorinnen“ und „Nebenprodukt im Klassikbizz“ bestücken die jeweilige Bildschirme.
Mit Anke Fischer und Kian Jazdi sind zwei Gäste im #powerhouse, die eine Ordnung in das Begriffschaos bringen und die Vorurteile auf den Prüfstand stellen.
Anke Fischer leitet die Education-Abteilung der Elbphilharmonie und hat dort 21 Kolleg:innen. Üblich ist das nicht und ein ziemlich starkes Alleinstellungsmerkmal unter den großen Konzerthäusern. Zuletzt war die jnp bei einem der Education-Projekte in Hamburg beteiligt und hat mit dem Team dort gemeinsam statt dem ursprünglich geplanten Education-Konzert einen Film produziert. Unser gemeinsames Projekt „Himmelblau“ wendet sich zwar an ein junges Publikum, aber Anke räumt auch schnell mit dem Mythos auf, dass Musikvermittlung sich nur an Kinder und Jugendliche richtet. Es gibt keine Altersgrenze; an der Elbphilharmonie werden Angebote für alle geschaffen, insbesondere auch durch die Arbeit des Ensemble Resonanz und durch Publikumsorchester für alle Alters- und Leistungsstufen.
Kian Jazdi ist als freier Musikpädagoge über das „Freischütz“-Projekt mit dem Konzerthaus Berlin zur jnp gestoßen und arbeitet darüber hinaus für die Al-Farabi-Akademie in Berlin, die geflüchtete und nicht-geflüchtete Kinder über das gemeinsame Musizieren zusammen bringt. Kian ist überzeugt: „Musik schafft Verbindungen und Freundschaften“. Für ihn bedeutet Musikvermittlung vor allem teilen – und schon ist das #jnpowerhouse inmitten der Diskussion angekommen:
Was soll hier eigentlich mit wem geteilt werden und warum überhaupt?
Kian und Anke sind sich einig, unabhängig vom Gegenstand oder Werk, das vermittelt werden soll, steht der Lebensweltbezug im Zentrum ihrer Arbeit. „Man muss dort anfangen, wo die Leute herkommen. Anerkennen, was sie interessiert, sei es Fußball oder Tiktok. Es geht darum erstmal eine Bindung zu schaffen“, erklärt Kian und gibt zu, dass Corona das zur Zeit ganz schön schwierig macht. „Es geht darum, die Leute ohne Zwang auf ihrem Weg mitzunehmen. Sobald gewährleistet ist, dass man im Konzert sitzt oder Musik hört und das Gefühl hat ‚Ich bin gemeint‘, dann sind die Ohren auf“, beschreibt Anke den Kern ihrer Arbeit.
Dass das Gefühl „Ich bin gemeint“ sich für viele im Konzert nicht einstellt, hat wenig mit der vermeintlichen Komplexität der klassischen Musik zu tun, sondern vor allem mit der Tatsache, dass die Programme und auch die Lehrpläne vor allem Musik vorsehen, die nur einen kleinen Teil der Gesellschaft abbildet und sehr eurozentristisch geprägt ist. Für Kian liegt hier großer Handlungsbedarf: „Musik aus anderen kulturellen Kontexten muss gleichwertig und gleichberechtigt behandelt werden.“ Konkret bedeutet dieses Anliegen, dass „interkulturelle Kompetenz“ nicht einfach nur als Phrase im Lehrplan steht oder als vereinzeltes Seminar im Masterstudium angeboten wird, sondern mit Inhalten gefüllt und in die Tat umgesetzt wird.
Egal über welche Musik im #jnpowerhouse gesprochen wird, immer wieder wird deutlich, dass Musik an sich begeistern kann und für sich selbst spricht. Ein Großteil der Teilnehmer:innen an diesem Abend sind Musiker:innen und damit das beste Beispiel dafür. Warum genau braucht es dann aber die Mittlerposition zwischen Werk, Musiker:innen und Publikum?
Anke antwortet direkt: „In einer optimalen Welt gibt es keine Vermittler:innen mehr. Es muss zur Grundeinstellung der Musiker:innen gehören die Musik mit allen teilen zu wollen.“ Für sie ist es eine Frage der Haltung von Musiker:innen und des Bewusstseins für die Rolle, die man in einem Konzert hat. Beides muss unbedingt auch schon in der Ausbildung von jungen Musiker:innen gefördert werden. „Wir müssen viel stärker in Frage stellen, was wir da eigentlich machen und neue Konzepte und Formate entwicklen“, führt Anke ihre Forderung weiter aus.
Die Teilnehmer:innen teilen ihre Einschätzung, betonen aber auch, dass die Realität noch weit davon entfernt ist. „Die Musiker:innen werden in Vermittlungsformaten nicht einbezogen“, heißt es da und auch Sätze wie „Wir spielen jetzt noch das Schulkonzert und dann noch drei richtige“ haben die meisten in irgendeiner Variante im Ohr.
Nach drei Stunden im Zoom-Raum ist sicherlich noch nicht alles gesagt, es wird intensiv diskutiert und es macht sich das Gefühl breit, dass es wirklich noch viel zu tun gibt. Der Wunsch nach einer Fortsetzung und gemeinsamen Herangehensweise ist groß und soll auch von uns weiter verfolgt werden.
Beitrag von Marlene Schleicher